Dienstag, 3. November 2015

Europäische Geschichte leicht verständlich

Eine gut verständliche kurze europäische Geschichte ohne die übliche starke Orientierung am nationalen Standpunkt hat Manfred Mai verfasst: "Europäische Geschichte erzählt von Manfred Mai". (bei Weltbild neuerdings, inklusive Porto für 4.- € erhältlich)
Trotz der Verknappung findet er Zeit für Knut den Großen, den ungarischen Großfürsten Géza und seinen Sohn König Stephan I., der das Land christianisierte, und Platz für ein großes Bild der
Stephanskrone mit dem schrägen Kreuz (sieh Bild).

Auf der Pyrenäenhalbinsel geraten Aragon, Kastilien und Portugal in den Blick, und der Begriff Reconquista wird zugunsten von Conquista problematisiert, Ein wenig unglücklich ist dabei, dass Mai die Vereinigung Aragons und Kastiliens (um 1479) behandelt, bevor er die Loslösung Portugals von Kastilien (1137/1143) erwähnt. Aber eine strenge Chronologie wäre nur mit einer völligen Zersplitterung der Darstellung erreichbar.


So wird auch das Kiewer Reich der Rus erst nach der Eroberung Englands von 1066 angesprochen, die Beendigung der Mongolenherrschaft über das Großfürstentum Moskau durch Iwan den Großen 1480 erst nach der Reformation.
Meiner Besprechung merkt man an, dass ich die bekannteren Ereignisse der europäischen Geschichte nur erwähne, dagegen eine ganze Reihe weniger geläufiger Zusammenhänge durch Verlinkung nachvollziehbar zu machen versuche. Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass Mai das weniger Geläufige auch nur ansprechen kann und es - wie ich - der Initiative des Lesers überlässt, ob er sich - etwa in der Wikipedia - weiter darüber informiert.
Dass Ludwig XIV., als er mit vier Jahren den französischen Thron bestieg, noch nicht regieren konnte, veranschaulicht Mai mit einem Bild des achtjährigen Königs, das mit der prächtigen Kleidung und den Insignien der Macht freilich schon einige Ähnlichkeit zum berühmten Porträt des "Sonnenköngis" (von 1701) aufweist, der immerhin schon 1661 mit 22 Jahren (Mai spricht zu Unrecht von 18 J.) die Alleinherrschaft übernahm und an die Stelle des mächtigen Mazarin nach dessem Tode von ihm abhängige, meist bürgerliche Minister einsetzte.
Vielleicht der mutigste Perspektivwechsel gegenüber der üblichen Sicht auf die Auseinandersetzung zwischen Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich gelingt Mai, indem er den Niedergang der türkischen Herrschaft auf dem Balkan aus der Sicht des Freiheitskampfes der Serben und Griechen darstellt. (Ein Porträt von Miloš Obrenović habe ich noch in keinem Schulbuch gesehen, geschweige, dass seine Rivalität zu Karađorđe angesprochen worden wäre.) Auch die Entwicklung zur Selbständigkeit Belgiens (1830/31) und Luxemburgs (1867) in diesem Kontext anzuführen, zeugt von einem sehr bewussten Blick auf die kleineren europäischen Staaten.
Dennoch bleibt die mutigste - aus meiner Sicht zu mutige - Entscheidung Mais, in die "Kleine Länderkunde" der europäischen Staaten zwar die Türkei, nicht aber Russland, Ukraine, Belarus (Weißrussland) und Moldawien aufzunehmen.
Nicht mutig, sondern schlicht falsch ist freilich seine Behauptung, 2004 wäre nur das türkische Nordzypern, nicht aber die griechische Republik Zypern Mitglied der EU geworden.*
Ein Beispiel mehr dafür, dass des öfteren der Wikipedia mehr zu vertrauen ist als manchem gedruckten Buch.
Das soll den Wert der anschaulichen und anregenden Darstellung Manfred Mais aber nicht herabmindern. Gelungen ist auch die Darstellung des 19., 20. und angehenden 21. Jahrhunderts, die ich hier noch übergehe, weil sie (vielleicht mit Ausnahme der Behandlung des Balkans*) weniger originell ist als mancher Blickwinkel aus der früheren Zeit.

* Zu Recht heißt es in der Wikipedia: "Die „Green Line“ ist zurzeit de facto Außengrenze der EU, die Zollbehörden der Republik Zypern beziehungsweise die der Souveränen Britischen Basen führen an den Kontrollstellen Zollkontrollen durch." - Seite „Republik Zypern“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 27. Oktober 2015, 15:42 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Republik_Zypern&oldid=147434098 (Abgerufen: 3. November 2015, 09:21 UTC)
* Mehr zur Geschichte Albaniens (vgl. auch Skanderbeg), Bulgariens und Rumäniens, die dort angesprochen werden, kann man bei den jeweiligen Links finden. Gemeinsam ist diesen Staaten, dass sie von der europäischen Staatengemeinschaft (wohl zum Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessengruppen und zur Zähmung eines zu scharfen Nationalismus) einen deutschen Monarchen verordnet bekamen (wie auch Griechenland mit Otto von Wittelsbach).

Einen anregenden Blick auf die europäische Geschichte mit einem ganz anderen Schwerpunkt bietet: "Verschwundene Reiche".

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