Donnerstag, 7. Juli 2016

Zwei Jahre Geiselhaft in Syrien

"Ich wurde oft geschlagen, gefoltert wurde ich fünf oder sechs Mal. Sie klemmten mich in einen Reifen und fesselten die Hände auf dem Rücken. Ich hatte das Gefühl, sie benutzen Äxte. Gleichzeitig ­gossen sie Wasser auf mich, ich dachte, das wäre Blut. Ich war mir sicher, ich würde nie wieder laufen können und hatte solche Angst, dass sie mich einfach abschlachten. Es war die Angst, die den Schmerz schlimmer machte. [...] Ihre Folter gleicht einem religiösen ­Ritual. Sie glauben, dass sie das näher zu Gott bringt. Oft beten sie auch richtig vor der Folter. Wenn sie wirklich laut und energisch beteten, dann wusste ich, jetzt wird gleich gefoltert. Das war für mich, als würden sie Gott fragen, ist es in Ordnung, wenn wir diese Typen foltern? Und er antwortet immer: Ja, kein Problem. [...] Ich bewundere die Eigenschaften vieler Muslime, die Herzlichkeit, Gastfreundschaft. Manche Gläubige wirken sehr ­weise. Ich finde es sehr berührend, wenn sie „inschallah“ sagen, „so Gott will“. Viele nervt das, aber ich finde es angemessen, wenn man über die Zukunft spricht. „Lass uns treffen, inschallah.“ Toll, wenn es klappt, dann sollten wir Gott dafür danken, denn vieles hätte passieren können. Das ist nur ein Beispiel dafür, was du lernen kannst, wenn du in einem islamischen Land lebst. Sei dankbar für kleine Dinge. [...] Die Gewalt, die sie jetzt ausüben, verschafft ihnen ein neues Selbstwertgefühl – mit dem Segen des Korans. Und dann sagt ihnen auch noch jeder, ihr müsst den Tod lieben – und nach einer Weile sagen sie, wir lieben den Tod, wir wollen in den Himmel. Aber wenn du sie dann fragst, gerade als Ausländer: Willst du wirklich sterben? Dann sagen sie: Nein, ich möchte lieber nach Deutschland. Doch ein Ticket nach Deutschland gibt ihnen keiner. Auf dem Tisch liegt eine Freifahrkarte in den Himmel. Also sagen sie, oh, dann nehme ich Option A. Weil es keine Option B gibt.
Aber das ist doch keine Erklärung für diese Brutalität!
Viele von denen, die mich gefoltert haben, wurden selbst jahrzehntelang vom Assad-Regime verfolgt. Sie schlossen sich Al Kaida an, weil sie glaubten, dass die den Islam verteidigen. Ich habe einen blinden Scheich kennengelernt, der von seinem vielleicht 13 Jahre alten Sohn herumgeführt wurde. Der Vater war blind, weil das Assad-Regime ihn so schlimm gefoltert hat. Der Sohn macht mit beim Dschihad, ein zweiter Sohn wurde bereits zum Märtyrer. Der Scheich sagte, dieses Kind hier wird auch zum Märtyrer, so Gott will. Der Junge war, seit er neun ist, nicht mehr in der Schule. ­Alles, was er kennt, sind der Dschihad und sein Vater, der vom Regime zum Krüppel gemacht wurde."
(Theo Padmos: Liebe deinen Feind, chrismon Juli 2016, S.38)

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