Donnerstag, 10. November 2016

"Die heutigen Dienstboten sind freier als die Diener von damals"

Julia Friedrich hatte in der ZEIT darauf hingewiesen, dass die heutige Bestellkultur eine neue Dienstbotenklasse geschaffen habe, die der Mittelschicht ermögliche, ihre "nach Marktlogik wertvollere Lebenszeit" kostengünstig in Freizeit umzutauschen. (Vom Diener zum Boten)
Lisa Nienhaus hält dem in der ZEIT Nr. 47 vom 10.11.16 entgegen: "Die heutigen Dienstboten sind freier als die Diener von damals". 
Damit hat sie völlig Recht. Denn sie stehen zum einen nicht in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis von den Mitgliedern der Mittelschicht und zum anderen genießen sie volle staatsbürgerliche Rechte. 
Was Nienhaus dabei freilich ausklammert, ist erstens, dass die Abhängigkeit von einem internationalen Großkonzern schwerer abzuschütteln ist als die eines persönlichen Dienstverhältnisses.  Die "gnädige Frau" einer Dienerin kann fürsorglich und hilfsbereit sein, die Arbeitsbedingungen der Paketboten bestimmt nicht der einzelne Kunde, sondern der Arbeitgeber. Dagegen kann man als einzelner nur juristisch oder mit einem persönlichen Kundenstreik vorgehen. (Zum Glück gibt es freilich noch Gewerkschaften, die freilich gegen internationale Konzerne nur beschränkt etwas ausrichten können.)
Zweitens: Weil die Benachteiligten gleichzeitig Staatsbürger mit allen Rechten sind, haben sie die Möglichkeit, die Empörung über ihre Benachteiligung in Protestwahlen kundzutun. Das führt dann dazu, dass AfD und Trump gewählt werden, weil sie gegen das Establishment auftreten, auch wenn sie nichts dazu tun, die Benachteiligung zu beseitigen. 
Natürlich kann man an ungerechten Verhältnissen festhalten; aber dann muss man auch mit den Folgen leben.

Vielleicht hat Nienhaus auch gar nichts gegen die Folgen. Was ihre Argumentation aber so wenig glaubwürdig macht, ist, dass sie den Vergleich von Boten mit Dienern wörtlich nimmt, statt zu berücksichtigen, dass nur eine strukturelle Parallelität gemeint ist. 
Wenn heute davon gesprochen wird, dass wir uns unseren Lebensstandard nur leisten können, weil wir eine Vielzahl von Sklaven für uns arbeiten lassen, dann ist damit ja nicht gemeint, dass sie rechtsverbindlich unser Eigentum wären; denn Sklaverei ist weltweit verboten.  Vielmehr denkt man dabei zum einen an die Ausgebeuteten in den Billiglohnländern, die zu Hungerlöhnen und ohne jeden Arbeitsschutz produzieren (vgl. die Brandkatastrophe in Bangladesch), und zum anderen an die Maschinensklaven, die wir mit der Verschmutzung unserer Umwelt bezahlen und mit der Vernichtung der Weltreserven an fossiler Energie und Rohstoffen für die chemische Industrie. 

Und wenn Nienhaus ins Feld führt, Julia Friedrich bedenke nicht, dass die Billiglohnjobs doch besser seien, als wenn auch diese Arbeitsplätze verschwänden, so bedenkt sie nicht, dass diese Billigjobs nur die Vorstufe sind zu einer weiteren Automatisierung. Mit den Drohnen, die diese Arbeitsplätze beseitigen sollen, wird ja jetzt schon experimentiert. 

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