Montag, 31. Juli 2017

Begünstigen Privatschulen gesellschaftliche Spaltung?

Politikwissenschaftlerin Rita Nikolai: "[...] Das Grundgesetz sieht zwar Privatschulfreiheit vor, aber es verbietet eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern. Und hier bieten einige Privatschulen durchaus Anlass zu Kritik.
Inwiefern?
Der Staat ist in der Verantwortung, er kann der Expansion der Privatschulen nicht einfach zuschauen. Er muss sicherstellen, dass keine soziale Distinktion stattfindet, denn das berührt die Frage der Chancengleichheit. Und die ist nicht gewährleistet, wenn Privatschulen ein so hohes Schulgeld fordern, dass viele Eltern es sich nicht leisten können. Es ist gerade sehr spannend, wie der Staat damit umgeht. [...]" (FAZ 31.7.17)

Sonntag, 30. Juli 2017

Gewerkschaften für Selbständige?

Als Student habe ich noch wie ein noch in einem ganz normalen Arbeitsverhältnis auf dem Bau gearbeitet. 
Als ich in England war, baute dort eine Baufirma über 60 Häuser mit nur zwei angestellten Arbeitern, alle anderen waren Selbständige, Scheinselbständige. Sie wurden nicht angestellt, damit die Firma sie nicht zu entlassen brauchte, wenn sie keine Arbeit mehr für sie hatte, und weil sie sich so nicht von einer Gewerkschaft vertreten lassen konnten.
Jetzt gibt es in New York eine Gewerkschaft mit 19 000 selbständigen Taxifahrern. Sogar manche Fahrer, die für Uber fahren, sind in dieser Gewerkschaft. 

"[...] Laut US-Rechnungshof sind fast 40 Prozent der Arbeitnehmer in den USA befristet beschäftigt. Es gibt sogar Forschungszweige, die sich mit dem Massenphänomen der Gelegenheitsjobs befassen. "Unternehmen haben erkannt, dass sich die Arbeit von festen Jobs trennen lässt", sagt Diane Mulcahy, Dozentin für Betriebswirtschaft am Babson College in Boston. "Der Trend zur Gig Economy wird sich nicht mehr aufhalten lassen." Auch Bhairavi Desai hält diese Entwicklung für unumkehrbar. Aber sie glaubt, dass eine altmodische Institution dennoch bestehen bleibt: die Gewerkschaften. Wie schlagkräftig die in der Welt befristeter Verträge sein können, hat sie vor Gericht gegen Uber bewiesen. Sie hat aus Konkurrenten Kollegen gemacht." (Eine gegen Uber ZEIT31/2017 27.7.17)

Geldpolitik ohne Zentralbank

Die englische Wikipedia hat einen Artikel Notgeld, unter dem ziemlich dasselbe steht wie in dem gleichlautenden der deutschen Wikipedia.
Die Zeit, in der in den USA bis zu 8000 Banken ihr eigenes Geld ausgaben (alles Dollars), nennt man "Free banking" Era. Dabei waren die Banken so frei nicht, denn sie wurden von den US-Bundesstaaten reguliert. Freilich verhinderte das nicht, dass das von den Banken ausgegebene Geld unterschiedlich viel wert war, je nach dem, als wie liquide die ausgebende Bank eingeschätzt wurde. Mehr dazu findet man im Artikel wildcat banking.
In der Wikipedia nachgeschlagen habe ich aufgrund des Artikels "Kampf um den Dollar" in der ZEIT 31/2017 vom 27.7., S.17, der von der Geschichte der US-Zentralbanken handelt.
Dass ich mich hier, was die USA betrifft, nur auf Artikel der englischen Wikipedia beziehe, liegt daran, dass es in der deutschen keine Artikel zu diesen Stichwörtern gibt, allerdings kurze schwedische und tschechische.

Kunstfreiheit und Documenta 14

Politisch korrekte Kunst:Tanz der Tugendwächter
Von Hanno Rauterberg DIE ZEIT Nr. 31/2017, 27. Juli 2017

"Skulpturen werden vernichtet, Gemälde weggesperrt: Politisch korrekte Kunst erobert die Museen von Kassel bis New York. Es triumphiert der Biedersinn."
Rauterbergs Argumentation gipfelt in seinen Schlussworten
"Eine Kunst, die im Grunde keine Kunst mehr sein will, sondern Belehrung, endet rasch in solchen Fallen der Bigotterie. Daher wären die Künstler nicht schlecht beraten, lieber in die Flüchtlingshilfe zu gehen oder eine Partei zu gründen, statt weiter im rein Symbolischen zu hantieren. Es sei denn, sie lassen sich nicht länger ins ethische Bockshorn jagen und kämpfen endlich wieder für eine Kunst, die alles sein darf: richtig gemein, richtig erhaben, richtig falsch. Nur richtig richtig eben nicht."

Ich war versucht, Lessings Nathan gegen Rauterberg in Schutz zu nehmen, bis ich merkte, dass dieser mit seiner Argumentation gegen Volkskunst auf der Documenta 14 gerade das herstellt, was Lessing mit seinem Nathan anstrebte: Indem er das Ausstellen von Volkskunst als falsch erklärt, macht er diese Kunst zum Skandalon, zur "entarteten Kunst" und damit zur Belehrung darüber, dass eine Kunstdogmatik, die 'richtig richtige Kunst' abwehrt, dieser erst dazu verhilft, als mehr als fremdländisches Kunstgewerbe verstanden zu werden. 

Hier kurz noch ein paar Passagen, die ich für Kunstdogmatik halte: 
"Auch das, eine Verschiebung weg von der Ästhetik, hin zur Ethik, ist auf der Documenta allgegenwärtig. Diese setzt auf Läuterung, auf moralische Bekehrung und will den Entrechteten dieser Welt zur überfälligen Anerkennung verhelfen.
Allerdings verstärkt eine Kunst, die zu allen gut sein will, durch ihre Neigung zur Positivdiskriminierung nur zu leicht die übelsten Klischees. Dass eine weibliche, migrantische, behinderte Künstlerin nicht wegen ihres Frauseins, ihrer Migration oder Behinderung geschätzt werden will, sondern wegen ihrer Kunst, das scheint fast schon unmöglich."
Warum spricht Rauterberg der 'migrantischen, behinderten Künstlerin' ab, dass sie wie Frida Kahlo "in ihren Bildern ihr Leiden" (Wikipedia) gestalten darf, und unterstellt ihr, dass sie wegen ihrer Eigenschaften und nicht wegen ihrer Kunst geschätzt werden will? (sicherheitshalber verklausuliert in "scheint fast schon unmöglich")
"So verzichtete der Künstler Ernesto Neto nicht zufällig darauf, eine eigene Installation aufzubauen, als er im Mai auf der Biennale in Venedig auftrat. Lieber vertraute er einer "kollektiven Vision", wie es in einem Kuratorentext heißt, und der Mitarbeit "amazonischer KünstlerInnen, PflanzenheilerInnen und Pajés (Schamanen) der 37 Huni-Kuin-Gemeinschaften aus dem Gebiet des Jordão-Flusses". Zudem war auch das Publikum eingeladen, an den Riten im selbst geknüpften Zelt teilzunehmen und einer Prozession durch die Biennale zu folgen."
Die Entscheidung Netos, eine Performance an die Stelle seiner ursprünglich geplanten Installation zu setzen, wird als solche kritisiert und nicht aufgezeigt, inwiefern sie durch Druck von außen zustande gekommen ist. 
Diese Kunstdogmatik erst rechtfertigt die kommentarlose Präsentation vieler Kunstwerke auf der Dokumenta 14 als die Provokation, die das Nachdenken, die Infragestellung gewohnter Sichtweisen ermöglicht, die Lessing angestrebt hat, als er den Literaturkritikern seiner Zeit entgegenhielt "Ich bin dieser Niemand" und sich gestattete, einen Juden als weise darzustellen. 

Damit ich mich nicht selbst missverstehe, füge ich hinzu: Die documenta 14 könnte in der Tat verstanden werden als Forderung: 'Kunst muss politisch sein', so wie die Ausstellung 'Entartete Kunst' in der Nazizeit das Credo aller Kunstkritiker in totalitären Systemen vermitteln wollte: 'Kunst muss affirmativ sein'. Solange Kuratoren sich darauf verlassen können, dass die Kunstkritik vor dieser Gefahr warnt, kann die diesjährige documenta eine Provokation gegen kommerzionalisierte Kunst sein (so wie Richter nicht müde wird, diese zu kritisieren).
Die Phänomene, die Rauterberg am Anfang beschreibt*, sehe auch ich sehr kritisch.

* "Destabilisierte Museumsbesucher pöbelten die Wärter an, einmal kam es zu einer Prügelei. Auch wurde von schwarzen Mitarbeitern eine Petition verfasst und der weiße Künstler zu einer Entschuldigung aufgefordert. Seine Bilder sollten, wenn nicht zerstört, so doch umgehend aus den Sälen entfernt werden. Der Vorwurf: Walkers Kunst habe "rassische und kulturelle Spannungen, Unbehagen und Verletzungen" hervorgerufen.
Ähnliche Vorwürfe musste sich die Malerin Dana Schutz gefallen lassen, als sie im Frühjahr auf der Whitney-Biennale in New York ein Bildnis ausstellte. In diesem Fall waren es viele linksliberal gesinnte Künstlerkollegen, die wutschnaubend dazu aufriefen, das Kunstwerk zu vernichten. Schutz hatte die Leiche des schwarzen Jungen Emmett Till gemalt, der 1955 von einem Lynchmob zu Tode gefoltert worden war, ..."

sieh auch:
Tweets zur documenta 14
Tweets zu Kunstfreiheit
http://www.zeit.de/kultur/2017-07/die-politik-des-jutesacks

Samstag, 29. Juli 2017

Als Arzt auf Lampedusa

"Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich verstanden, was es heißt, dem Tod ins Gesicht zu schauen. Nicht wissen konnte ich hingegen, dass diese Nacht sich nicht nur für immer meinem Bewusstsein einprägen würde, sondern dass mein ganzes Leben von einem Meer bestimmt sein würde, das Leichen und Leben ausspuckt, und dass es ausgerechnet an mir sein würde, diese Leben zu retten und diese leblosen Körper als Letzter zu berühren. Dass ich jedes Mal, wenn ich auf der Mole einen Mann untersuche, eine Frau oder ein bis auf die Knochen durchnässtes, verängstigtes Kind, an diese Momente zurückdenken würde." (Bartolo, Pietro u. Tilotta, Lidia: An das Leid gewöhnt man sich nie - Salztränen. Mein Leben als Arzt auf Lampedusa, 2017)
[Leseprobe]

Freitag, 28. Juli 2017

Audi gilt als Keimzelle des Volkswagen-Skandals

"Dieselbetrug, Razzia, Entwickler in U-Haft: Bei Audi geht es drunter und drüber. Längst machen Spekulationen die Runde, nach denen viele Vorstände demnächst rausfliegen." von   MÜNCHEN

Eine "gerichtsnotorische arglistige Täuscherin" ?

Ein Beispiel für die kurzfristigen Hypes, die sich durch die gegenwärtige Medienlandschaft ziehen, war die eifrige Plagiatsuche.
So nannte der Verfasser des schavanplag-Blogs unter dem Pseudonym "Robert Schmidt"  2013 die jetzige deutsche Botschafterin am Vatikan eine "sich als fromme Katholikin gerierende gerichtsnotorische arglistige Täuscherin" (schavanplag).
Dass er in einem anderen Blog (ebenfalls 2013) eine "Dokumentation wissenschaftlichen Fehlverhaltens in der Dissertation von Prof. Dr. Norbert Lammert" vorgelegt hat, verdeutlicht noch stärker, wie sehr die Plagiatsaffäre zu Guttenbergs von 2011 damals noch nachgewirkt hat. 

Von einer umfassenden Prüfung aller Dissertationen der Jahrzehnte vor 1990 hat man dann bekanntlich abgesehen. Nicht zu Unrecht möchte ich meinen. 


Da heute Plagiate deutlich leichter zu erstellen, aber auch extrem leichter zu erkennen sind, ist sehr zu Recht in den auf 2011 folgenden Jahren weit mehr Wert auf die Aufdeckung von Plagiaten in der aktuellen Wissenschaftsszene gelegt worden. Offenbar mit gutem Erfolg.

Verbot von Verbrennungsmotoren

"Es ist als würde ein Metzger dazu aufrufen, Vegetarier zu werden. Doch genau das tut Ben van Beurden, der Vorstandschef von Shell, dem führenden europäischen Öl- und Gaskonzern: „Sehr willkommen und notwendig“ sei das in mehreren Ländern angekündigte Verbot von Benzin- und Dieselmotoren in Neuwagen, sagte der Niederländer am Donnerstag in einer Telefonkonferenz mit Journalisten zur Veröffentlichung der Shell-Quartalszahlen.
Dabei ist sein Unternehmen nicht nur einer der größeren Ölförderer, der Energieriese betreibt auch zahlreiche Raffinerien und eines der größten Tankstellennetze der Welt. Doch der Klimaschutz lasse der Politik keine andere Wahl, sagte der Shell-Chef. Wenn der globale Temperaturanstieg, wie angestrebt auf 2 Grad Celsius beschränkt werden solle, dann müssten reiche Industrieländer in Europa vorangehen: „Wir müssen solche Dinge tun“, sagte van Beurden mit Blick auf das Verbot von Verbrennungsmotoren." (Shell-Chef lobt Verbot von Verbrennungsmotoren faz.net 27.7.17)

Dazu auch:
http://www.zeit.de/2017/31/autokartell-wettbewerb-justus-haucap/komplettansicht
http://www.zeit.de/2017/31/kartell-vorwuerfe-autoindustrie-deutschland-politik
http://www.zeit.de/wirtschaft/2017-07/automobilindustrie-volkswagen-daimler
http://fontanefansschnipsel.blogspot.de/2017/07/wie-kam-es-zum-dieselskandal.html

Mittwoch, 26. Juli 2017

Wie kam es zum Dieselskandal?

"[...] All die Entscheidungen und Unterlassungen, die Deutschland in diese Krise geführt haben, wurden begründet mit dem Arbeitsplatz-Argument. Doch was jetzt am meisten gefährdet ist, das sind: Arbeitsplätze.
Wer nach den politischen Ursachen für diese Fehlentwicklung sucht, der landet schnell bei einem Zitat des ehemaligen FDP-Vorsitzenden und damaligen Außenministers Guido Westerwelle aus dem Jahre 2013: "Wir verstehen uns ausdrücklich als Dienstleister der deutschen Unternehmen." Genau! Nicht etwa als Korrektiv, als Antreiber, als Counterpart, als Supervisor. Nein: Dienstleister. Seinerzeit bedankte sich der VW-Chef Martin Winterkorn, mittlerweile selbst vom VW-Skandal verschlungen, für die "vielfältige Unterstützung" seitens der schwarz-gelben Koalition. [...]"
Mit den Grünen wär das nicht passiert Von Bernd Ulrich, DIE ZEIT Nr. 31/2017, 27. Juli 2017

Dazu auch:
http://www.zeit.de/2017/31/autokartell-wettbewerb-justus-haucap/komplettansicht
http://www.zeit.de/2017/31/kartell-vorwuerfe-autoindustrie-deutschland-politik
http://www.zeit.de/wirtschaft/2017-07/automobilindustrie-volkswagen-daimler
http://fontanefansschnipsel.blogspot.de/2017/07/verbot-von-verbrennungsmotoren.html

Falschparker

Der Abschlepper Von ZEIT 18/2017  26. April 2017
"In seiner Freizeit jagt Andreas Schwiede* Falschparker. Mehr als tausend Autos hat er schon räumen lassen. Auf Twitter wird er dafür gefeiert, in Berlin bringt er ganze Straßen gegen sich auf – und die Polizei."
Polizeibeobachter @Poliauwei
Seine Tweets: https://twitter.com/Poliauwei

Zweifellos sind Raser gefährlicher als Falschparker. Und zur Professionalität gehört Prioritätensetzung. 
In einer Millionenstadt kann man Raser allerdings relativ gut durch Radarfallen entdecken. Und wenn es Regeln gibt, dann sollte sich zumindest die Polizei  selbst daran halten. Wenn das nicht geht, muss man die Regeln neu formulieren. 
Und wer besondere Befugnisse hat, sollte auch besonders gut kontrolliert werden.

Ist unsere Weltsicht durch den Kolonialismus seit 500 Jahren verzerrt?

„Willkommen in Zhengistan, ÄthiopierInnen!“

So begrüßt  der Politikwissenschaftler Aram Ziai das Publikum bei seiner Antrittsvorlesung.

Dann geht es dort weiter:

 "Lassen Sie uns einige Jahrhunderte zurückgehen, ins Zeitalter, in dem Kontinente „entdeckt“ wurden, ins 15. Jahrhundert. Überliefert sind folgende Worte des großen Admirals, der über seine Entdeckungsfahrten berichtet: „Wir haben mehr als 50.000 Seemeilen des gewaltigen Ozeans befahren … und haben unseren Blick auf weit entfernte barbarische Gegenden geworfen.“ (zit. nach Baron 2005). Es handelt sich um den führenden Seefahrer und Entdecker der damals größten und technisch fortgeschrittensten Flotte. Sein Name ist Zheng He. Obwohl er hierzulande weitestgehend unbekannt ist, sind seine Reisen durchaus vergleichbar mit denen von Vasco da Gama oder Christoph Kolumbus. [...] 
Was wäre geschehen, wenn er den asiatischen Kontinent in der entgegengesetzten Richtung umrundet hätte? Und eine dieser barbarischen Gegenden die Heimat meiner Mutter gewesen wäre, das heutige Deutschland? Folgen wir der historischen Fiktion noch ein Stück weiter: was, wenn er aus unerklärlichen Gründen auf den Gedanken verfallen wäre, der von ihm „entdeckte“ Westzipfel Asiens sei ein eigener Kontinent? Und wenn dieser Kontinent nach ihm als seinem „Entdecker“ benannt worden wäre? Nehmen wir weiter an, Zheng He wäre dem Irrtum erlegen, die von ihm „entdeckte“ Region sei eigentlich Hinter-Äthiopien und die dort lebende Bevölkerung würde infolge dieses Irrtums fortan entsprechend bezeichnet – wir lebten heute als ÄthiopierInnen in Zhengistan. [...]"

Der vollständige Text ist hier zu finden:

www.uni-kassel.de/fb05/fileadmin/datas/fb05/FG_Politikwissenschaften/Entwicklungspolitik/Antrittsvorlesung_Aram_Ziai.pdf

Postkoloniale Perspektiven auf Entwicklungspolitik 
Antrittsvorlesung zur Heisenberg-Professur Entwicklungspolitik und Postkoloniale Studien an der Universität Kassel  Von Aram Ziai 

Dienstag, 25. Juli 2017

Wortschatzwandel

 Mit der Webapplikation „Wortschatzwandel in der ZEIT“ können Sprachinteressierte erkunden, welche Wörter in einem bestimmten Jahr neu in der ZEIT waren und zuvor gar nicht oder nur selten verwendet wurden. Umgekehrt können die Nutzerinnen und Nutzer über die Anpassung einiger weniger Kennzahlen auch erforschen, wann bestimmte Wörter nicht mehr verwendet wurden. [...] Die Nutzerinnen und Nutzer werden so selbst zu Forschenden, die nach eigenen Kriterien nach auffälligen Wörtern suchen können.
So lässt sich beispielsweise nachvollziehen, dass im Jahr 1985 mehrere Wörter rund um die Aids-Epidemie, z.B. „Aids-Kranke“, „Aids-Patienten“ und „Aids-Virus“, aufkamen und auch mindestens in den folgenden 24 Jahren eine relevante Rolle im Wortschatz der Wochenzeitung spielten. Auch das Wort „Altersarmut“ wurde in diesem Jahr erstmals relevant und ist seitdem nicht mehr aus dem Wortschatz der ZEIT wegzudenken. 1990 erlangten wie zu erwarten Wörter wie „Stasi-Akten“, „Ossis“, „Wessis“ und „Maueröffnung“ erstmals Relevanz im Wortschatz. Aber auch andere Wörter, die thematisch nicht mit der deutschen Wiedervereinigung zusammenhängen, wie „Cyberspace“ oder „Anschubfinanzierung“ können erst ab 1990 verstärkt im Wortschatz der ZEIT nachgewiesen werden.
Erläuterung zum Umgang mit dem Instrument

Montag, 24. Juli 2017

Jährlich 3,6 Milliarden Plastiktüten verbrauchen die Deutschen

Und dabei ist das schon ein großer Fortschritt:
"Eine erfreuliche Bilanz: 2016 haben wir hierzulande etwa zwei Milliarden Plastiktüten weniger verbraucht als noch im Vorjahr. Grund dafür ist laut Experten die Einführung von Gebühren auf Plastiktüten.
Seit Juli 2016 sind in mehr als 300 Unternehmen Plastiktüten nicht mehr kostenlos zu haben. Auch wenn die Tüten in vielen Geschäften nur 10 oder 15 Cent kosten – die Maßnahme hat sich bewährt. In Deutschland ist der Verbrauch von Plastiktüten stark zurück gegangen, wie aktuelle Zahlen der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung zeigen.
Durchschnittlich hat jede Person in Deutschland nur noch 45 Plastiktüten im Jahr verbraucht – 2015 waren es noch 68 Tüten pro Kopf. Insgesamt ist der Plastiktüten-Verbrauch damit um etwa zwei Milliarden Stück gesunken: von 5,6 Milliarden Tüten jährlich auf nur noch 3,6 Milliarden."

Nationale Identität oder Postnationalismus

"When Canadian Prime Minister Justin Trudeau called his country the world’s “first post-national state” with no “core identity” or “mainstream,” he was offering a prescription, not a description. As Canada celebrates its 150th birthday this week and stares into the uncertain future ahead, his words may prove little more than an opening bid as the country negotiates its 21st-century purpose. [...] Canada would be less colonial politically, less English culturally, less white racially and more comfortable with activist government ideologically. Today’s lines are just as easy to observe, but where they lead is much harder to imagine, promising, as they do, to steer the country not merely from one identity to another, but away from identity itself."
(Who gets to decide Canada's identity? The Washington Post 29.6.2017)

Sonntag, 23. Juli 2017

Das Wochenende in der Süddeutschen Zeitung

Überblick

VW als Komplize der Militärdiktatur in Brasilien

"[...] Außerdem hat der VW do Brasil offenbar politische Festnahmen durch die Geheimpolizei auf seinem Werksgelände bei São Paulo zugelassen. Betroffene berichten, sie seien im Anschluss monatelang gefoltert worden. Sie hatten sich in oppositionellen Gruppen engagiert und Flugblätter auf dem Werksgelände verteilt. [...]"

Turbo-Abitur führt nur zum Teil schneller ins Studium

Von Inga Michler | 
"Der Plan, Jugendliche schneller auf den Arbeitsmarkt zu bringen, ist gescheitert. Viele drängen ins Sabbat-Jahr. Noch erschreckender ist allerdings die geringe digitale Affinität deutscher Schüler."
Der Vorteil von G8 für die Finanzminster bleibt. Die Schülerzahlen sinken, da ein Teil der Schüler früher das Schulsystem verlässt. 
Da mangelnde Kenntnisse dank der Kompetenzorientierung des Abiturs erst im Studium auffallen, müssen sie eben an der Uni nachgeholt werden, ob das in Eigeninitiative oder mit Unterstützung der Universität geschieht, kann den Finanzministern egal sein. Allenfalls zunehmende Abbrecherzahlen könnten stören, weil dann die Universitäten erkennbar weniger effizient arbeiten. Das kann man aber durch geeignete Statistiken verschleiern. 
Da ein Praxisjahr oft die Selbständigkeit der Studenten fördert, könnte dies die erhöhten Abbrecherquoten aber in gewissem Umfang kompensieren. 

Kaffee in Dürkheim

"Kaffee der rkheimer KAffeefabrik, die als Folge der Insolvenz der Quieta-Werke in Bad Dürkheim Mitte der 1930er Jahre von Fritz Opitz sen. gegründet wurde. Das Gelände der Fabrik befand sich in der Mannheimer Straße in Bad Dürkheim. Die ersten Maschinen wurden zum größten Teil aus der Insolvenzmasse der Quieta-Werke übernommen. Später firmierte sie unter "Kasper & Opitz", da Fred Kasper, der Sohn des Quieta Werke-Gründers Alfred Kasper, in die Firma DüKa aufgenommen werden musste. Fritz Opitz sen.? und Alfred Kasper waren Schwager.
Die Firma bestand bis 1967 und musste dann Insolvenz anmelden." (Kaffeetraditionsverein)

Freitag, 21. Juli 2017

Blauäugigkeit war keine Hilfe

Hier stelle ich in Bezug auf eine Studie zu Medienberichten im September und Oktober 2015 ein paar Bemerkungen zusammen, in denen ich vor einer Verharmlosung der Aufgabe der Integration von Flüchtlingen gewarnt habe. 

16.9.2015
Es hat sehr lange gedauert, bis Bevölkerung und Medien den Skandal wahrgenommen haben, der in dem "Schutz" der Festung Europas durch Frontex bestand. Mir erscheint das, was jetzt geschieht, wie ein kurzfristiger Hype, obwohl ich mir etwas anderes erhoffe. 
Merkel ist in dieser Situation im guten Sinne populistisch geworden. Hoffentlich fällt sie nicht um, wenn sie sich über die Folgen ihrer raschen Entscheidung klar wird. (Fonty)

7.10.15
Die Inklusion aller Behinderten und dieIntegration aller eintreffenden Flüchtlinge wird nicht gelingen, wenn das Bildungssystem unter dem Diktat der schwarzen Null und der Minimalsteuern für Unternehmen ausgehungert wird 

17.1.16
Zu lange schon sah ich die, die sich um Flüchtlinge kümmerten, von Politikern fast aller Richtungen allein gelassen.
Deshalb fand ich das Verschweigen oder Kleinreden von Problemen, die die Aufnahme einer hohen Zahl von Flüchtlingen unweigerlich mit sich bringen musste, hoch problematisch. 

24.2.16

Blauäugigkeit ist kein Ersatz für Tatkraft 

Die allgemeine Euphorie, die in den Medien ausbrach, als deutlich wurde, wie groß die Bereitschaft zu ehrenamtlicher Hilfe für Flüchtlinge war, war kein gutes Zeichen; denn sie übertönte den Ruf nach Aufstockung des professionellen Personals für diesen Bereich.
Die Forderung, die Polizei muss den Schutz von Flüchtlingen sicherstellen, 
Punktum, ist kein gutes Zeichen, denn sie verschließt die Augen davor, dass die Polizei in der gegenwärtigen Situation insgesamt, vor allem aber in einzelnen Krisensituation wegen Personalmangels überfordert ist. [...]

Zu viele unter uns haben die Flüchtlingskrise, die schon 
vor dem August 2015 bestand, nicht wahrgenommen und glauben deshalb an fehlenden guten Willen.
Zwar ist es völlig richtig, dass jetzt erheblich mehr in den Bildungsbereich investiert werden muss, dass mehr Polizisten eingestellt werden müssen und dass der Einsatz von Ehrenamtlichen unverzichtbar ist. Doch auch dann wird immer wieder einmal eine Überlastungssituation eintreten, für die man nicht einzelne Personen verantwortlich machen darf, sondern die auf unzureichende Vorbereitung zurückzuführen ist.

Nicht nur Blauäugigkeit, sondern geradezu Blindheit ist es, wenn man 
den Sachsen vorwirft, sie hätten nicht genügend gegen Rechtsradikale und Rechtspopulisten in ihrem Land getan.
Ist der nationalsozialistische Untergrund (NSU) etwa nur in Sachsen nicht zureichend verfolgt worden? [...].

Wir stehen vor einem Problem unserer Gesamtgesellschaft, und die Sachsen oder die Polizei oder sonst eine Gruppe unserer Gesellschaft zu Sündenböcken abzustempeln, hilft nicht weiter.

Schließlich: Wie sieht die Situation in Europa aus? Immer wieder hört und liest man in den Medien, es fehle die europäische Solidarität in der Flüchtlingskrise. Was will man von Esten und Litauern erwarten, wenn wir im wohlhabenden Deutschland nicht genügend Ressourcen aufbringen, um einzelne Gemeinden und Regionen zureichend zu unterstützen, dass sie mit den anfallenden Aufgaben fertig werden?
Und wie stand es und steht es um unsere Solidarität mit Griechenland?
Massiv waren die Forderungen nach Personalabbau in der öffentlichen Verwaltung; aber mit den Flüchtlingsströmen hätten die Griechen besser fertig werden sollen. Wie viel guter Wille ist dennoch immer noch auf den griechischen Inseln zu finden, wo jetzt 
Hotspots eingerichtet werden. Aber kann der erhalten bleiben, wenn die Bewohner keinerlei Solidarität von Deutschland erfahren, sondern statt dessen durch zwangsweisen Souveränitätsverzicht durch Frontexkommandos beglückt werden?

So sehr ich die anfängliche Euphorie über das ehrenamtliche Engagement kritisiere. Eine einzelne Zeitung darf durchaus eine deutliche Position vertreten. Fragwürdig war nur die von allen zur Schau gestellte (vorgetäuschte?) Blauäugigkeit. 

Montag, 17. Juli 2017

Positive Erfahrungen mit Inklusion und ein Ausblick

Eine Schülerin berichtet:


"[...] Jetzt ist alles anders. Es kommen immer mehr Förderschüler in die Klassen, vielen Lehrern fehlt die Erfahrung mit der Inklusion. Mehr Sonderpädagogen gibt es deshalb nicht. Auch an unserer Schule sind sie inzwischen für zwei Klassen gleichzeitig zuständig und können die Lehrer nicht mehr jede Stunde unterstützen. Außerdem sind mehr Schüler in den Klassen. Lehrer müssen sich häufig gleichzeitig um die starken Schüler kümmern, die an der Gesamtschule ihr Abitur machen wollen, und um schwächere, die Probleme mit den Grundrechenarten oder dem Lesen haben. Dabei bleiben immer Kinder auf der Strecke.
Ich finde das schade. Für mich persönlich war die Zeit in der Integrationsklasse eine große Bereicherung. Ich fühlte mich nie schlecht oder zu wenig unterrichtet und habe viel über Toleranz gelernt und darüber, dass Menschen sehr unterschiedlich sein können. [...]"
(Quelle und mehr dazu: Inklusion in der Schule ZEIT online 16.7.17 - Hervorhebungen von Fontanefan)

Samstag, 15. Juli 2017

FAZ vermisst linke Demonstranten, fehlen ihr Randalierer?

Stell Dir vor, die Neonazis kommen und keiner demonstriert faz.net 15.07.2017

"Zu einem Rechtsrock-Event reisen Tausende Neonazis in eine Kleinstadt nach Thüringen – und damit mehr als der Ort Bewohner hat. Von den angekündigten Gegendemonstranten ist dagegen kaum einer gekommen.
Zum bundesweit größten Neonazi-Konzert des Jahres im südthüringischen Themar sind vor Festivalbeginn bereits rund 3500 Rechte angereist.  [...] Dagegen war in der 3000-Einwohner-Stadt von den neun angekündigten Protestveranstaltungen gegen Rechts mit bis zu 2000 Demonstranten kaum etwas zu sehen. 
Laut Polizei demonstrierten vor dem Konzertgelände etwa 75 Menschen sowie in der mit Plakaten geschmückten Stadt und an diversen Ständen noch einmal wenige Dutzend.  
Knapp 1000 Polizisten aus Thüringen und mehreren Bundesländern sind im Einsatz – auch um die beiden Blöcke voneinander zu trennen. Polizei und Thüringer Innenministerium gingen davon aus, dass die Zahl der Polizisten laut Sicherheitskonzept und Einschätzung des möglichen Gewaltpotentials ausreicht."


Rechtsrock-Event in Thüringen: Themar wartet auf „Stahlgewitter“ und „Blutzeugen“ faz.net 14.7.17

"Der Bürgermeister hat lange genauso wie der Landrat aus dem nahen Hildburghausen gegen das Konzert gekämpft. Am liebsten hätte er das Ganze verboten, sagt Böse, doch das sei nicht so einfach. Rathaus und Landratsamt sehen in dem Konzert eine kommerzielle Veranstaltung, weil die Teilnehmer Eintritt zahlten.
 Der Organisator, ein Mittdreißiger aus der Thüringer Neonazi-Szene, beruft sich jedoch auf das Versammlungsrecht, weil es zwischen den Liedern auch Wortbeiträge gebe, und bekam darin sowohl beim Verwaltungsgericht Meiningen als auch beim Oberverwaltungsgericht in Weimar recht. Letzteres hatte erst am Donnerstag eine Beschwerde des Landkreises Hildburghausen zurückgewiesen mit der Begründung, dass auch Konzerte Meinungsäußerungen im Sinne des Versammlungsrechts sein können.
 Mit der Wertung als Versammlung aber steht die Veranstaltung unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes."

Kurz ist klarzustellen: Wenn Minderheiten die Straße beherrschen und gar andere terrorisieren, dann darf man nicht wegschauen, sondern dann sollte deutlich werden, was die Mehrheit der Bevölkerung davon hält.
Wenn aber rechtlich nicht verhindert werden kann, dass aus dem ganzen Bundesgebiet Rechtsradikale zusammenkommen und kurzfristig gegenüber der Gesamtbevölkerung die Überzahl darstellen, dann ist es Aufgabe des Rechtsstaats, sicherzustellen, dass es nicht zu Übergriffen auf die Bevölkerung kommt. Künstlich eine Situation herbeizuführen, dass die Polizei zwei Demonstrationen auseinander halten muss, wäre dafür kontraproduktiv. Die Bürger und die Organisationen, die zu Gegendemonstrationen aufgerufen haben, haben eine solche Situation verhindert.

Warum aber habe ich bei den Berichten der FAZ ein ungutes Gefühl?
Wenn es dort heißt:
"Laut Polizei demonstrierten vor dem Konzertgelände etwa 75 Menschen sowie in der mit Plakaten geschmückten Stadt und an diversen Ständen noch einmal wenige Dutzend.  
Knapp 1000 Polizisten aus Thüringen und mehreren Bundesländern sind im Einsatz – auch um die beiden Blöcke voneinander zu trennen."
dann klingt das für mich, als wäre es dem Berichterstatter lieber gewesen, wenn die Demonstranten gegen die Neonazis das Polizeiaufgebot gerechtfertigt hätten. 
Was stört mich daran?
Es wird nichts davon gesagt, aber der politisch wenig Informierte könnte angesichts des Berichts zu dem Eindruck kommen: "Gegen die Regierungen können die Linken demonstrieren, aber die Nazis sind ihnen wohl egal."
Ich hoffe, das ist nicht beabsichtigt, und möchte davor warnen, einen Wettkampf um die Hoheit auf den Straßen zu provozieren. Denn das kann gewiss nicht im Sinne der Berichterstatter sein. 

Sexismus ist Trump

Wegen der schönen Überschrift dieser Schnipsel aus der FAZ:

http://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/trumps-sexistische-aeusserungen-15106232.html

Freitag, 14. Juli 2017

Öffentlich-private Partnerschaften beim Autobahnbau

"Bei ÖPP handelt es sich um Kooperationen von Privatunternehmen und öffentlicher Hand, zum Finanzieren, Erbauen, Instandhalten und Betreiben von Infrastruktur. [...] Kommunen, Länder und der Bund sehen die öffentlich-private Zusammenarbeit als eine Möglichkeit an, notwendige Investitionen trotz beschränkter Mittel kurzfristig zu leisten. Mit ÖPP ließe sich außerdem die Schuldenbremse umgehen, wenngleich dies natürlich wesentlich vornehmer beziehungsweise gar nicht formuliert wird. Viele Kommunen können oder dürfen keine neuen Schulden mehr aufnehmen. Zahlungsverpflichtungen an private Akteure tauchen jedoch nicht als Schulden im Haushalt auf

Diese mögliche Umgehung der Schuldenbremse sowie die oft nur aus kurzfristiger Sicht stichhaltigen Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen von ÖPP kritisiert der Bundesrechnungshof. Die Vorteile aus Sicht der privaten Akteure sind langfristig sichere Cashflows, der Staat als absolut sicherer Schuldner und garantierte Renditen. Letztere aber widersprechen den Grundsätzen einer funktionierenden Marktwirtschaft. Risiko und Rendite gehören zusammen. Insofern können – müssen aber nicht! – ÖPP-Projekte durchaus ordnungspolitische Sündenfälle sein." (Michael Eilfort, Benjamin Jursch: Zur Privatisierung von Infrastruktur. Staat im Vorteil für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de -Hervorhebungen von Fontanefan)

"Dabei werden die von der Privatisierungslobby regelmäßig in Aussicht gestellten Effizienzvorteile über ÖPP meist nicht realisiert. Schon 2014 kam der Bundesrechnungshof zu dem Urteil, dass die Bundesfernstraßen, die als ÖPP-Projekt gebaut und betrieben wurden, 1,9 Milliarden Euro teurer seien als konventionell, also rein staatlich gebaute Projekte. Dies liegt in erster Linie daran, dass der Bund die für den Autobahnaus- und -neubau benötigten Kredite aufgrund seiner höheren Bonität deutlich günstiger aufnehmen kann als Privatunternehmen. Mit der Bundesfernstraßengesellschaft, wie sie die Bundesregierung nun in Gestalt einer "Kapitalsammelstelle für Fernstraßen" umsetzen möchte, würden ÖPP endgültig institutionalisiert – zu Lasten der Allgemeinheit und zum Vorteil der Finanz- und Versicherungsbranche. Letztlich hat die vom seinerzeitigen Bundeswirtschafts- und derzeitigen Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) eingesetzte "Fratzscher-Kommission" damit eine weitere Möglichkeit aufgetan, die Kosten der Finanz- und Eurokrise in Zeiten historisch niedriger Zinsen von Kapitalanlegern auf Verbraucher und Steuerzahler zu verlagern."  (Tim Engartner: Zur Privatisierung von Infrastruktur. Staat im Ausverkauf für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de  - Hervorhebungen von Fontanefan)

Dazu: Zwei frühere Artikel zum Autobahnbau

Donnerstag, 13. Juli 2017

Was wird bleiben?

König Ludwig [II.],genannt der Deutsche, schenkt dem Stift des hl. Cyriak zu Neuhausen Grundbesitz und Hörige in Flörsheim, Albisheim und Machenheim (867 Juli 8, Frankfurt)


Besitz stirbt. Sippen sterben. Du selbst stirbst wie sie. 
Eins nur weiß ich, das ewig lebt: Der Toten Tatenruhm.


Was bleibt länger? Das reale Dokument oder seine Repräsentanz in den aktuellen Medien?
Die Erinnerung an Besitz oder die an Personen?
Die Tradition oder der Überrest? Dichtung oder Knochen?
Die Erinnerung an den Kampf für Benachteiligte oder an den um Macht?
Das wird in jedem Fall unterschiedlich sein. Aber an die einzelnen Benachteiligten 

wird man gewiss nicht lange denken.



Doch dass man sich bemühen kann, ihnen zu helfen, das wird bleiben.




Dienstag, 11. Juli 2017

Vom doppelten Dilemma von Systemkritikern und etablierten Politikern

Die Konferenz der G20 in Hamburg hat gezeigt, dass die G20 gegenwärtig nicht in der Lage sind, eine Politik der Reformen voranzutreiben. (dazu u.a.)
Die Kritiker der G20 sind aber ebenfalls gescheitert: Nicht ihre Argumente wurden diskutiert, sondern nur, was man gegen die Randalierer tun könne.

Dies doppelte Scheitern hat mit dem doppelten Dilemma zu tun, vor dem einerseits die Politiker und andererseits ihre Kritiker stehen. Die Kritiker haben den einen Vorteil: Dass die etablierte Politik in einer Sackgasse steckt, ist offenkundig:
A: Der Kampf gegen den menschenverursachten weltweiten Temperaturanstieg über zwei Grad Celsius ist gescheitert. Dass die Kosten der bevorstehenden Wetterkatastrophen viele Billionen kosten werden, ist unvermeidlich. Nur darf niemand, der eine noch größere weltweite Katastrophe vermeiden will, offen darüber reden, weil sonst der Wille, den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern, noch mehr geschwächt würde.
B: Der Kampf für einen menschenwürdigen Umgang mit den Armen der Welt scheitert immer wieder:
1. weil das ökonomische Interesse der wirtschaftlich Starken sie dazu drängt, ihre wirtschaftliche, politische und militärische Überlegenheit gegenüber den Schwächeren auszuspielen,
2. weil in den wirtschaftlich (und auch sonst) schwachen Staaten die Oberschicht ihren Lebensstandard auf Kosten der Unterschicht ausbaut und dabei die inneren Konflikte verschärft,
3. weil diese inneren Konflikte zu Bürgerkriegen und Terrorismus führen, die die Wirtschaftskraft dieser Staaten weiter schwächen und einen Großteil der gut Ausgebildeten und der potentiell Leistungsfähigen außer Landes treiben,
4. weil eine Aufnahme aller Fluchtwilligen der von Bürgerkriegen und Hungerkatastrophen geschüttelten Staaten die gegenwärtig vorhandene Logistik und auch die mittelfristige Aufnahmebereitschaft in den Fluchtzielstaaten überfordern würde,
5. weil Entwicklungshilfe viel zu selten und viel zu langsam zu Erfolgen führt, um den Flüchtlingsdruck zureichend zu vermindern (selbstverständlich müssen die Fluchtursachen und nicht die Flüchtlinge bekämpft werden; aber diese Bekämpfung der Ursachen geht nicht voran) und
6. weil das unter 1. genannte Interesse an der Ausnutzung der Überlegenheit sich erfahrungsgemäß immer wieder als stärker erweist als das Interesse an der Problembeseitigung.
C: Der Versuch, das weltweite Finanzsystem zu reformieren, bleibt in Ansätzen stecken. Nur ein Beispiel dafür ist die Finanztranskationssteuer, die inzwischen sogar von den etablierten Politikern gefordert, aber nie ernsthaft in Angriff genommen wird. (Hier müsste noch viel ergänzt werden, aber für einen Schnipsel ist der Beitrag schon jetzt zu lang.)

Der geschilderte "Vorteil" nutzt den Kritikern aber nichts; denn eine Politik der Vernunft ist gegen die wirtschaftlichen Interessen der Starken nicht durchzusetzen. Eine radikale Veränderung wäre nur durch eine Revolution durchsetzbar. (Beispiel: Macron mit seiner "Revolution") Die aber würde - wenn sie überhaupt erfolgreich sein sollte - so viel zerschlagen, dass für die notwendigen Veränderungen nicht mehr genügend Kapazität vorhanden wäre. Es bleibt also nur der Weg der Vernunft. Der wird durch Randalierer und Gewalttäter diskreditiert. Aber wenn die nicht aufgetreten wären, hätten viele überhaupt nicht mitbekommen, dass es Grundsatzkritik an der G20-Strategie gibt. Das Dilemma ist also: Die Globalisierungskritik wird nicht beachtet. Die Randalierer sorgen zwar dafür, dass für Aufmerksamkeit; aber sie erschweren jeden Argumentationsversuch.

Das Dilemma der etablierten Politik ist jetzt einfach zu beschreiben: Den Weg der Vernunft kann sie nicht beschreiten, weil zum einen die Weltwirtschaft nach dem Konkurrenzprinzip organisiert ist und somit keiner einheitlichen Strategie (z.B. Milleniumsziele) folgen kann und zum anderen sowohl die weltpolitischen Spannungen als auch innenpolitischen Gegensätze so groß sind, dass die notwendigen Kompromisse an der größeren Attraktivität so genannter einfacher Lösungen scheitern (Trump, Erdogan, Assad sind nur einige der prominenten Beispiele. Innerhalb Deutschlands könnte man die AfD, innerhalb der AfD könnte man Höcke anführen.)

Trump, AfD und Gewalttäter sind nur Symptome des Scheiterns der etablierten Politik und ihrer Kritiker. Dazu haben unsere Qualitätsmedien genug gesagt. Zu den Gründen des Scheiterns hört man weniger. Denn wenn man die ganz ernsthaft in den Blick nimmt, fällt es sehr schwer, der etablierten Politik und den Globalisierungskritikern ihr Scheitern vorzuwerfen. -
Selbstverständlich muss trotzdem weiter nach Lösungen gesucht werden...

Schon dieser Text ist für einen Schnipsel oder einen Bierdeckel zu lang, dabei ist er völlig verkürzt, weil ich für diesen Entwurf die "einfache Lösung" einer ausführlicheren und differenzierteren Argumentation vorgezogen habe.

Hier nur ein paar Namen von Personen, die ausführlicher argumentiert haben: Piketty, Naomi Klein, Jorgen Randers ... (Links und weitere Namen sollen noch folgen.)


Montag, 10. Juli 2017

G20: Randalierer, Autonome, Krawall-Kids ...

"Der „Nil“-Chef stand am Freitag gegen Mitternacht vor seinem Restaurant, und sagte plötzlich: „Das ist einer von denen.“ Er zeigte auf einen schmächtigen Mann mit Dreadlocks, der am Straßenrand saß – in bunten Klamotten. Der Wirt hatte den Jüngling ein paar Stunden zuvor beobachtet. Vor seinem Laden hatte der sich mit ein paar anderen Jugendlichen getroffen, alle trugen bunte, unauffällige Klamotten. Als die Polizei am frühen Abend mit Wasserwerfern auf das Schanzenviertel zurollte, zogen sie kleine schwarze Säckchen aus ihren Taschen. Darin hatten sie schwarze Regenjacken, sie streiften sie sich über, zogen sich ein dünnes schwarzes Tuch übers Gesicht, und gingen los – mit Steinen in der Hand." (faz.net 10.7.17)

Wer genau die Täter waren, die im Hamburger Schanzenviertel wüteten, ist nicht zu 100% geklärt. Zahlreiche Befragungen von Anwohnern und Gipfelgegnern, die vor Ort waren, zeichnen jedoch ein ungefähres Bild, das sich mit den allermeisten Reporterberichten in den klassischen Medien ergänzt. Den harten Kern der Gewalttäter bildete offenbar eine mehrere hundert Mann starke Gruppe schwarz gekleideter und vermummter Autonomer, die zu einem großen Teil aus dem Süden Europas kamen. Vor allem Griechen, Italiener und Franzosen sollen hierbei zu den Rädelsführern gehört haben. Unterstützt wurde dieser harte Kern von einer zahlenmäßig größeren, sehr heterogenen Gruppe oft sehr junger Randalierer – meist vermummt und oft in teuren Markenklamotten, darunter den meisten Schilderungen zufolge sehr viele junge Frauen. Die interessante Frage ist: Kann man diese beiden Gruppierungen tatsächlich der politischen Linken zurechnen?
Bei den gut organisierten Autonomen ist die Beantwortung dieser Frage nicht so einfach. Einige von ihnen sind weitestgehend apolitisch, viele sympathisieren aber auch mit Ideologien wie dem „Insurrektionalismus“, einer gewalttätigen Strömung des Anarchismus, bei der die Rebellion im Vordergrund steht. Klassisch linke Interessenvertretungen wie linke Parteien oder Gewerkschaften werden von dieser Form des Anarchismus genauso abgelehnt wie klassisch linke Politik. Ob man diese Strömungen überhaupt der politischen Linken zurechnen kann, ist selbst unter Politikwissenschaftlern mehr als umstritten.
Noch verworrener wird das Bild, wenn man sich die „Krawall-Kiddies“ anschaut. In der Tat spielen einige von ihnen auch mit „linker Symbolik“, echte politische Ziele sind ihnen jedoch in der Regel fremd. Meist geht es den gelangweilten Kindern aus „besserem Hause“ eher um eine perverse Triebbefriedigung durch Randale und Gewalt. Hamburg war für sie eher ein Abenteuerspielplatz, der G20-Protest ein „Event“; apolitisch und inhaltsleer. So sinnvoll es wäre, diese moderne Gewaltkultur näher zu betrachten, so sinnlos ist es, sie pauschal ins „linke Lager“ zu verschieben. Denn was ist bitteschön links daran, wenn ein junger Schnösel am Wochenende zum Randale machen nach Hamburg fährt und dort Kleinwagen anzündet und Geschäfte verwüstet? Noch nicht einmal der Randalierer selbst denkt im Traum daran, dass die Welt gerechter wird, wenn er einen Twingo ansteckt. Warum aber stecken ihn Teile der Medien dann in die „linke Schublade“? 
ohne Kommentar

Sonntag, 9. Juli 2017

Hubertus Heil zu G20

"Die Bilder aus Hamburg sind erschütternd. Es ist eine neue Dimension sinnloser und widerwärtiger Gewalt. Organisierte Chaoten aus ganz Europa sind brandschatzend durch die Straßen gezogen. Die Verantwortlichen müssen mit der ganzen Härte des Rechtsstaats verfolgt und bestraft werden.

Unser aller Dank gilt den Polizistinnen und Polizisten sowie den Rettungskräften, die buchstäblich Leib und Leben riskiert haben, um unseren Rechtsstaat zu verteidigen. Bitte solidarisiere auch Du Dich und – wenn Du bei Facebook bist –Ergebnis des Gipfels ist enttäuschend
Statt eines neuen Aufbruchs zur fairen Gestaltung der Globalisierung brachte der Gipfel nur Minimalkompromisse

Nichts, aber auch gar nichts rechtfertigt diese Gewalt. Im Gegenteil: Wenn brutale Gewalttäter den Rechtsstaat herausfordern, müssen alle Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen. Jetzt ist nicht die Zeit für parteitaktische Spielchen."

Kein Kommentar. Fontanefan