Sonntag, 30. Juli 2017

Kunstfreiheit und Documenta 14

Politisch korrekte Kunst:Tanz der Tugendwächter
Von Hanno Rauterberg DIE ZEIT Nr. 31/2017, 27. Juli 2017

"Skulpturen werden vernichtet, Gemälde weggesperrt: Politisch korrekte Kunst erobert die Museen von Kassel bis New York. Es triumphiert der Biedersinn."
Rauterbergs Argumentation gipfelt in seinen Schlussworten
"Eine Kunst, die im Grunde keine Kunst mehr sein will, sondern Belehrung, endet rasch in solchen Fallen der Bigotterie. Daher wären die Künstler nicht schlecht beraten, lieber in die Flüchtlingshilfe zu gehen oder eine Partei zu gründen, statt weiter im rein Symbolischen zu hantieren. Es sei denn, sie lassen sich nicht länger ins ethische Bockshorn jagen und kämpfen endlich wieder für eine Kunst, die alles sein darf: richtig gemein, richtig erhaben, richtig falsch. Nur richtig richtig eben nicht."

Ich war versucht, Lessings Nathan gegen Rauterberg in Schutz zu nehmen, bis ich merkte, dass dieser mit seiner Argumentation gegen Volkskunst auf der Documenta 14 gerade das herstellt, was Lessing mit seinem Nathan anstrebte: Indem er das Ausstellen von Volkskunst als falsch erklärt, macht er diese Kunst zum Skandalon, zur "entarteten Kunst" und damit zur Belehrung darüber, dass eine Kunstdogmatik, die 'richtig richtige Kunst' abwehrt, dieser erst dazu verhilft, als mehr als fremdländisches Kunstgewerbe verstanden zu werden. 

Hier kurz noch ein paar Passagen, die ich für Kunstdogmatik halte: 
"Auch das, eine Verschiebung weg von der Ästhetik, hin zur Ethik, ist auf der Documenta allgegenwärtig. Diese setzt auf Läuterung, auf moralische Bekehrung und will den Entrechteten dieser Welt zur überfälligen Anerkennung verhelfen.
Allerdings verstärkt eine Kunst, die zu allen gut sein will, durch ihre Neigung zur Positivdiskriminierung nur zu leicht die übelsten Klischees. Dass eine weibliche, migrantische, behinderte Künstlerin nicht wegen ihres Frauseins, ihrer Migration oder Behinderung geschätzt werden will, sondern wegen ihrer Kunst, das scheint fast schon unmöglich."
Warum spricht Rauterberg der 'migrantischen, behinderten Künstlerin' ab, dass sie wie Frida Kahlo "in ihren Bildern ihr Leiden" (Wikipedia) gestalten darf, und unterstellt ihr, dass sie wegen ihrer Eigenschaften und nicht wegen ihrer Kunst geschätzt werden will? (sicherheitshalber verklausuliert in "scheint fast schon unmöglich")
"So verzichtete der Künstler Ernesto Neto nicht zufällig darauf, eine eigene Installation aufzubauen, als er im Mai auf der Biennale in Venedig auftrat. Lieber vertraute er einer "kollektiven Vision", wie es in einem Kuratorentext heißt, und der Mitarbeit "amazonischer KünstlerInnen, PflanzenheilerInnen und Pajés (Schamanen) der 37 Huni-Kuin-Gemeinschaften aus dem Gebiet des Jordão-Flusses". Zudem war auch das Publikum eingeladen, an den Riten im selbst geknüpften Zelt teilzunehmen und einer Prozession durch die Biennale zu folgen."
Die Entscheidung Netos, eine Performance an die Stelle seiner ursprünglich geplanten Installation zu setzen, wird als solche kritisiert und nicht aufgezeigt, inwiefern sie durch Druck von außen zustande gekommen ist. 
Diese Kunstdogmatik erst rechtfertigt die kommentarlose Präsentation vieler Kunstwerke auf der Dokumenta 14 als die Provokation, die das Nachdenken, die Infragestellung gewohnter Sichtweisen ermöglicht, die Lessing angestrebt hat, als er den Literaturkritikern seiner Zeit entgegenhielt "Ich bin dieser Niemand" und sich gestattete, einen Juden als weise darzustellen. 

Damit ich mich nicht selbst missverstehe, füge ich hinzu: Die documenta 14 könnte in der Tat verstanden werden als Forderung: 'Kunst muss politisch sein', so wie die Ausstellung 'Entartete Kunst' in der Nazizeit das Credo aller Kunstkritiker in totalitären Systemen vermitteln wollte: 'Kunst muss affirmativ sein'. Solange Kuratoren sich darauf verlassen können, dass die Kunstkritik vor dieser Gefahr warnt, kann die diesjährige documenta eine Provokation gegen kommerzionalisierte Kunst sein (so wie Richter nicht müde wird, diese zu kritisieren).
Die Phänomene, die Rauterberg am Anfang beschreibt*, sehe auch ich sehr kritisch.

* "Destabilisierte Museumsbesucher pöbelten die Wärter an, einmal kam es zu einer Prügelei. Auch wurde von schwarzen Mitarbeitern eine Petition verfasst und der weiße Künstler zu einer Entschuldigung aufgefordert. Seine Bilder sollten, wenn nicht zerstört, so doch umgehend aus den Sälen entfernt werden. Der Vorwurf: Walkers Kunst habe "rassische und kulturelle Spannungen, Unbehagen und Verletzungen" hervorgerufen.
Ähnliche Vorwürfe musste sich die Malerin Dana Schutz gefallen lassen, als sie im Frühjahr auf der Whitney-Biennale in New York ein Bildnis ausstellte. In diesem Fall waren es viele linksliberal gesinnte Künstlerkollegen, die wutschnaubend dazu aufriefen, das Kunstwerk zu vernichten. Schutz hatte die Leiche des schwarzen Jungen Emmett Till gemalt, der 1955 von einem Lynchmob zu Tode gefoltert worden war, ..."

sieh auch:
Tweets zur documenta 14
Tweets zu Kunstfreiheit
http://www.zeit.de/kultur/2017-07/die-politik-des-jutesacks

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