Freitag, 11. August 2017

Protestbewegung 1968

Ein Jahr hallt nach ZEIT 1.6.2017 23/2017
[...] Ebermann, dessen Mutter Näherin war, der Vater Schweißer, fing nach der mittleren Reife im Jahr 1967 in der Fabrik an, am Fließband. Es wurden Turnschuhe produziert. Ebermann hatte 17 Sekunden Zeit, einen Turnschuh fertig zu kriegen, dann kam der nächste. "Ich dachte erst, das ist unmöglich, das schafft keiner", erinnert sich Ebermann. Irgendwann aber gelang es ihm sogar in 14 Sekunden, er konnte sich jedes Mal kurz entspannen, ehe der nächste Turnschuh kam. Bis die Chefs das bemerkten und das Fließband schneller stellten, auf 14 Sekunden pro Turnschuh. "Da habe ich zum ersten Mal verstanden, was Kapitalismus ist", sagt Ebermann. "Und dass man dagegen etwas tun muss."
Das ist es, was alle 68er-Geschichten gemeinsam haben: Sie fangen an mit der Hoffnung. Auf eine bessere Welt, eine bessere Erziehung, auf Gleichberechtigung, auf besseren Sex.
Bei Wolfgang Schmidbauer hieß die Hoffnung: Psychologie. Auch dort hatte der große Aufbruch begonnen, die Befreiung der Seele. Neue Methoden wie Gruppentherapien versprachen neue Wege. Schmidbauers damalige Ehefrau litt an schweren psychotischen Zuständen – und sie hatte eine Familie, die tief in den Horror des Nationalsozialismus verstrickt war. Konnte die Kranke geheilt werden, indem man sie durch die Therapie von den Nazi-Eltern befreit?
"Das", sagt Schmidbauer, "war die Überzeugung, so war das."
Thomas Ebermann glaubte sogar an die Revolution, die den Kapitalismus beenden würde. "Ich dachte, angesichts der Zustände muss sie kommen, sie ist unausweichlich." Er wurde Mitglied im Kommunistischen Bund und Betriebsrat in der Gummifabrik – und er war nur einer von vielen: "Es gab überall kommunistische Betriebsräte, wir waren eine Macht, die hatten Angst vor uns." Er glaubte an den Umsturz? Ja, das höre sich heute komisch an, sagt Ebermann, "aber war so. Das war eine vollkommen andere Zeit. Man hatte die tiefe Hoffnung: Du kannst alles ändern, du musst es nur tun." [...]

1968 in der DDR ZEIT 1.6.2017 23/2017

ZEIT-Leser Wie war Ihr 1968 ZEIT 1.6.2017 23/2017


Tagebuch eines 68ers


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