Samstag, 10. Februar 2018

Günter Gaus im Gespräch mit Gisela May

Sendung vom 18.07.2001

[...]
Gaus: War die deutsche Teilung, Frau May, nur eine politisch-staatliche Teilung, oder auch eine soziale? Ich hatte den Eindruck, als ich hier privilegierter Beobachter DDR war, daß es auch eine soziale Teilung war. Ich habe darüber geschrieben. Es ist eigentlich nie so richtig ins Bewußtsein gedrungen, glaube ich. Die Eigentums- und Besatzungspolitik, auch die Bildungspolitik der SED vertrieb große Teile des Mittelstands, der größeren Bauern und der Akademiker. Es blieb im Grunde eine Schicht zurück, die sich erst im Laufe der Zeit wieder auffächerte. Die erste Frage in diesem Zusammenhang: War diese Teilung auch eine soziale Teilung? Und zweitens: Trägt das zu der Fremdartigkeit im Umgang zwischen Ost und West immer noch bei?

May: Sie haben eine Tatsache übersehen, und diese erscheint mir die entscheidende. Wir hatten eine getrennte Währung. 1948 hat die Bundesrepublik mit der D-Mark sich dem Dollar angeschlossen, während wir am Rubel hingen und eine Währung bekamen, die in der westlichen Welt nichts mehr wert war. Insofern war dieser soziale Unterschied schon durch die unterschiedliche Währung gegeben.  [...]

Gaus: Die Nachfolge der Weigel als Mutter Courage: Wie sind Sie damit fertig geworden?

May: Das war furchtbar, weil ich den ganz falschen Weg gegangen bin. Ich habe mir auf den Proben immer wieder die Bänder von der Weigel angehört, weil ich sie eben so grandios fand in dieser Rolle, weil ich überhaupt dieses ganze epische Theater zum ersten Mal erlebt hatte. Das war ja die erste Aufführung, die in Brechts Regie 1948 im Deutschen Theater stattfand. Das war für mich umwerfend. Nun wollte ich eben die Weigel studieren, und dann „weigelte“ ich. Ich fing plötzlich an, etwas Österreichisch zu sprechen, und über meinen Tonfall dachte ich: Das bin ich doch gar nicht mehr. Da war plötzlich die Weigel. Also das mußte ich dann alles vergessen. Bis zur Premiere … Dann rutsche ich in ein Regiekorsett hinein, in dem ich mich dann so verbiß und mir gar nichts mehr traute. Es war ein furchtbarer Prozeß. Auch bei der Premiere war ich noch nicht so. Nach zehn, zwölf Vorstellungen wurde dann die May zur Courage. [...]

Gaus: Erlauben Sie mir eine letzte Frage. Sie sind inzwischen wieder erfolgreich mit einem Brecht-Weill-Programm auf der Bühne des Berliner Ensembles aufgetreten. Was bedeutete das vor allem für Sie, Frau May, Heimkehr oder Triumph?

May: Es bedeutete Heimkehr, insoweit, daß ich sage, Heimkehr in ein Haus, in ein wunderbares Haus, in dem ich 30 Jahre ein wunderbares Publikum hatte. Aber es bedeutete nicht Heimkehr in ein Ensemble. Ein Ensemble vermisse ich noch heute.

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